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Forschung

Zum Stand der Theodor-Litt-Forschung in Japan14 min read

„Freiheit und Lebensordnung”
Ein europäischer Diskurs
über Demokratie
LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH
2011

MICHIO OGASAWARA
Zum Stand der Theodor-Litt-Forschung in Japan

Einleitung

Im Zusammenhang des X. Theodor-Litt-Symposion im Jahre 2006 habe ich einen Vortrag über das Thema „Die Rezeption der Pädagogik von Theodor Litt in Japan” gehalten. Dabei habe ich betont, dass insbesondere die Kulturpädagogik unter den damaligen deutschen „Pädagogi-ken” nachhaltig rezipiert wurde, da sie zur sozialen und kulturellen Situation sowie zum damit verbundenen Bildungszustand in den 1920er Jahren in Japan gepasst hat. In meinem Vortrag wurde festgestellt, dass vor allem die „Theorie der Kulturpädagogik der Dilthey-Schule” (1926) den Japanern ins Auge gefallen ist, und dass Dilthey, Spranger und Litt als Repräsentanten ihrer Schule angesehen wurden. Hierbei fand ich bemerkenswert, dass die 1920er Jahre als Gründungszeit der japanischen „akademischen Pädagogik” bezeichnet werden können, in der die „Wissenschaftstheorie der Pädagogik” für besonders wichtig gehalten wurde. Als Folge meiner Untersuchung wurde schließlich unterstrichen, dass die japanischen Pädagogen ihre Aufmerksamkeit auf Litt aufgrund seiner Bedeutung für die Methodologie der wissenschaftlichen Pädagogik gerichtet haben.

Im letzten Vortrag habe ich hauptsächlich versucht, gleichsam aus einer Vogelperspektive die etwa 110-jährige japanische Geschichte der Rezeption der deutschen Pädagogik von der Meiji-Zeit (1868-1912) über die Taisho-Zeit (1912-1926) bis Showa-Zeit (1926-1960er Jahre) zu betrachten. Im vorliegenden Bericht möchte ich — im Gegensatz dazu — den zeitlichen Rahmen auf die etwa 50-jährige Geschichte von den 1960er Jahren bis 2010 begrenzen und den japanischen Forschungsstand über Theodor Litt darlegen. Ich werde zugleich kommentierend berichten, aus welchem Interesse und mit welchen Themen in Japan zu Litt intensiv geforscht wurde und wird. Zum Schluss werde ich auf Grund dieses Berichts meine persönliche Meinung darüber äußern, auf welche Weise die Litt-Forschung zu Problemlösungen der japanischen Gesellschaft auch heute beitragen könnte.

  1. Monographien über Theodor Litt

„Bildungsphilosophie von Litt” von NISHIKATA, Mamoru:
Das Buch beruht auf seiner Doktorarbeit “Dialektische Bildungsforschung von Theodor Litt”, die von der Tohoku Universität im März 2000 angenommen wurde. In seinem Buch versuchte der Autor, die „Dialektik” der Bildungsphilosophie von Litt durch die ausführliche Analyse seiner Hauptwerke und die Überprüfung der vorherigen deutschen Forschungen über Litt, etwa von W. Klafki, J. Derbolav und R. Lassahn, zu charakterisieren. Die Eigentümlichkeit des Buches besteht auch darin, dass der Autor „Leben und Werk von Litt” auf der Basis der Schrift „Die Pädagogik Theodor Litts” (1982) von Klafki präzise darstellte. Es ist in neun Kapiteln strukuriert:

• Kap. 1 Einleitung,
• Kap. 2 Methodologie der Pädagogik,
• Kap. 3 Menschenbild und Bildung (l),
• Kap. 4 Menschenbild und Bildung (2),
• Kap. 5 Begegnung und Bildung,
• Kap. 6 Selbsterkennung und Bildung,
• Kap. 7 Naturwissenschaft, Technologie, Industriegesellschaft und Bildung,
• Kap. 8 Demokratie und Politische Bildung,
• Kap. 9 Fazit.

In der Reihenfolge der Werke von Litt erwähnt der Autor seine Schwerpunkte in seinem Forschungsleben. Auf Aufforderung durch die „Japanische Gesellschaft für Philosophie der Erziehung” habe ich dieses Buch in ihrer Zeitschrift rezensiert und kommentiert, wonach es sowohl inhaltlich, als auch methodisch qualitativ hoch eingeschätzt werden kann.

„Anthropologie und Pädagogik von Litt —Zum Verhältnis zwischen Menschen und Natur” von MIYANO, Yashuharu:
Dieses Buch ist aus der Doktorarbeit des Autors hervorgegangen. Hier fasst er seine 30-jährige Beschäftigung mit der Litt-Forschung systematisch zusammen. Im Jahre 2001 erwarb er hiermit den Titel eines Doktors an der Kyoto Universität. Um „das umfangreiche Denken von Litt zu verstehen”, schreibt er im Nachwort, war es wichtig, dass seine Arbeit drei thematische Schwerpunkte aufzeigt und untersucht, und zwar „die philosophische Anthropologie”, „Technologie und Erziehung” und „Gedanken der politischen Bildung”. Warum wurden diese drei Themen von MIYANO für relevant gehalten? Auf diese Frage gibt der Autor seine Antwort bereits in der Einleitung selbst sehr deutlich. Er spricht von der “Perspektive der Litt-Forschung”. Er fängt damit an, die Entstehung und die Entwicklung des Denkens von Litt durch die Untersuchung der Werke und Tätigkeiten im Kontext der damaligen Situation zu interpretieren. Die vorherigen Forschungergebnisse aus dem Buch „Reflexion und Gestaltungswille. Bildungstheorie, Bildungskritik und Bildungspolitik im Werke von Theodor Litt” (1964, S. 14) von Hans-Otto-Schlemper oder auch aus dem „Nachwort” des Buches „Pädagogik und Kultur” (1965, S. 104 u. S. 109) von F. Nicolin zitierend, stellt MIYANO fest, dass ein großer Wandel im Denken Lifts durch den Zweiten Weltkrieg verursacht zu sein scheint. Sein Denken könne hiernach in eine frühere und in eine spätere Phase aufgeteilt werden, d. h. in die Weimarer Zeit und in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf dieser These beruhend, behauptet er, dass man die großen Werke von Litt, zu denen auch „Mensch und Welt” und „Denken und Sein” gehören, ins Auge fassen muss und sie auch aus dem heutigen Interesse analysieren soll. Darum fand MIYANO insbesondere die Analyse des grundsätzlichen Rahmens der „philosophischen Anthropologie und Menschenbildung” von Litt in seiner späteren Lebenszeit notwendig. In seiner Doktorarbeit beschäftigt sich MIYANO mit diesem Vorhaben, wobei das Thema „Verhältnis zwischen Menschen und Natur” in der Mitte seines Interesses steht. Seine Schrift setzt sich aus dem Teil 1 „Das Konzept der philosophischen Anthropologie und seine Entwicklung” und dem Teil 2 „Neue Konstruktion der Menschenbildungslehre” zusammen. Neben der Überlegung zum grundsätzlichen Problem der Bildung in der modernen Zeit und durch die Überprüfung des Gedankens von Litt versuchte MIYANO, dieses Thema auch mit dem Gedanken von M. Weber, M. Horkheimer und Th. Adorno zu verknüpfen. Im Ganzen kann sein Buch als Antwort auf die Fragen nach den modernen Menschen und der Menschenbildung auf der Basis der Anthropologie und Pädagogik von Litt angesehen werden. Zudem hat MIYANO einen Aufsatz in deutscher Sprache mit dem Titel veröffentlicht „Der Prozess der Littrezeption in Japan” (1983). Dieser ist auch für die deutschen Leser von großem Interesse.

  1. Japanische Autoren und ihre Aufsätze über Theodor Litt

MAEDA, Tuyoshi:
Er veröffentlichte insgesamt 13 Aufsätze. Sie erstrecken sich thematisch von „Grundtheorie der Kulturpädagogik — über die Theorie von Th.Litt” (1966) bis „,Das Allgemeine im Aufbau der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis’ von Th. Litt” (1977). Es gibt von ihm eine unvollständig geschriebene Doktorarbeit „Anthropologie und Pädaogik von Theodor Litt” (Tohoku Universität, 1974). Im Ganzen wurde seine Forschung als orthodox eingeschätzt.

OKAMOTO, Hideakira:
Seitdem er seinen ersten Aufsatz „Problematik der Methode der gegenwärtigen Pädagogik in Deutschland” veröffentlicht hat, schrieb er bis 1987 insgesamt 8 Aufsätze. OKAMOTO studierte bei O.F. Bollnow und wurde als Pionier der „hermeneutischen Pädaogik” in Japan angesehen. Er erörterte die Theorie von Litt zwar nicht konzentrisch. Aber er erwähnt Litt auch in seiner umfangreichen Untersuchung über die „Methodologie der hermeneutischen Pädagogik” aus verschiedenen Perspektiven.

NISHI, Isamu:
1972 veröffentlichte er seinen Aufsatz „Entstehung des Perspektivismus von Litt — Seine gedankliche Beziehung zu Leibniz”. Bekanntlich hat Litt Leibniz als „einen Bahnbereiter der deutschen philosophischen Epoche” bezeichnet. NISHI schrieb; dass Litt seinen eigenen „dialektischen Per-spektivismus” durch seine Kritik an den Perspektivismus von Leibniz abgeleitet und begründet und in seinen früheren Hauptwerken, etwa wie „Geschichte und Leben” (1917), „Erkenntnis und Leben” (1923) sowie „Individuum und Gemeinschaft” (2 Aufl. 1924) entwickelt hat. Wegen der hervorragenden Analyse über den Perspektivismus, der eine wichtige Rolle für die Systematisierung und die methodologische Entwicklung der Kulturphilosophie sowie der Anthropologie von Litt gespielt hatte, wurde der Aufsatz von NISHI hoch eingeschätzt.

SANEMATSU, Norio:
Er schrieb seinen Aufsatz „Wesen und Aufgabe der politischen Bildung —Über das Gedanken der politischen Bildung von Th. Litt” im Jahre 1977. Insgesamt veröffentlichte er bis 1987 fünf Aufsätze. Der Aufsatz „Bedeutung und Kritik des ,Pädagogischen Denkens’ von Th. Litt” wurde gleichfalls publiziert. Erstaunlich finde ich, dass SANEMATSU die politische Bildung bereits 1977, also am frühesten innerhalb der japanischen Litt-Forschungen erwähnt hat.

SUZUKI, Satoshi:
Der englische Beitrag „Tradition and Development; Control and Freedom in the Education of Youth — The Educational Thought of Wyneken and Litt” wurde von SUZUKI 1985 veröffentlicht. Dieser Aufsatz analysiert die prinzipielle pädagogische Gegenüberstellung von „Tradition und Zukunft” oder auch „Zwang und Freiheit”, die zwischen der pädagogischen Strömung der Jugendbewegung und der Kulturpädagogik nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland zu existieren erschien. Hier wurde Litt als Repräsentant der Kulturpädagogen ausgewählt, während G.Wyneken als namhafter Vertreter der Jugendbewegung aufmerksam erforscht wurde. Die Arbeit von SUZUKI ist insofern für die Geschichte der Litt-Forschungen in Japan interessant, weil er Litt als eine der wichtigsten Personen für die Diskussion über das pädagogische Denken in den 1980er Jahren erkannt hat.

ARAI, Yasuyuki:
„Lifts Kritik gegen den Nazisums” wurde 1982 veröffentlicht. In diesem gründlichen Beitrag hat ARAI die damaligen Aufsätze mit der kritischen Einstellung gegen den Nazismus von Litt untersucht. Für den Text schrieb ARAI ein englisches Resümee. Aus ihm zitiere ich folgtndermaßen: „On the basis of two of Litt’s papers in which in the early 1930ies he criticized Nazism, I have summarized his criticism in two point’s. Litt’s argument in „Universität und Politik” can be summed up as follows: 1. Political interfe-rence with science tends to destroy it because it infringes an the autonomy of science. 2. A university should be firmly grounded in its function as a research institution; by doing so it can best serve the state. In addition, I interpret the term „hohe Schule des Geistes” as an expression symbolic of the above-mentioned outlook an the university. Next, I discuss the si-gnificance of the paper ,Die Stellung der Geisteswissenschaften im nationalsozialistischen Staate’ from the viewpoint of criticism against Nazism. 1. Investigating the problem from many different angles it demonstrates that it is wrong for science to serve Nazism. 2. It proves that the attempt of ethnology to explain history by means of the concept of race is fundamen-tally impossible. 3. It devices the way Nazis deal with history into three different kinds and points out that each of them contains intemal contra-dictions as well as contradictions with each other. By way of conclusion, I maintain that Litt’s peculiar method of criticism pointing at the logical weakness of Nazism amounts to an indirect verdict of Nazism as such.”

OGAWA, Tetsuya:
1994 schrieb er „Nazismus und Geisteswissenschaft — Betrachtungen über Th. Lifts Kritik gegen den Nazismus”. OGAWA konzentrierte sich auf den Artikel „Pestalozzis Anthropologie als Ausdruck protestantischen Geschichtsbewusstsein” von Litt und verdeutlichte die Eigentümlichkeit seiner Kritik am Nazismus.

OGASAWARA, Michio:
Bezüglich der Litt-Forschungen habe ich drei wichtige Aufsätze veröffentlicht:

1) „German ,Scientific Pedagogy` in the Nineteen-Thirties” (1972): In diesem Aufsatz geht es um die Frage, wie die deutsche „Wissenschaftliche Pädagogik”, die in den 1920er Jahren entstanden ist, auf die Erscheinung des Nazismus in den 30er Jahren reagiert hat. Hierbei wurden die „Kommentare über die Zeitumstände” von E. Spranger, Th. Litt, H. Nohl und W. Flitner analysiert.

2) „Staatsgewalt und Erziehung — Betrachtungen über Theodor Lifts Staatsauffassung (1)” (1976): Zwar wird in unserem Lande (Japan) stets die Frage der Beziehung zwischen Politik und Erziehung als ein bedeutendes soziales Problem angegangen, aber die Untersuchung über den Staat als politische Realität oder über das Wesen der konkreten Staatsgewalt und ganz besonders Untersuchungen über dieses Problem vom pädagogischen Standpunkt aus werden vernachlässigt. In diesem Aufsatz soll das Problem der Staatsgewalt aufgrund der Ausführungen von Th. Litt, insbesondere vermittels von Untersuchungen über Litts Staatsauffassung als „Staatsgewalt” erforscht werden. Hier werden zugleich die Grundlagen seiner Auffassung über die staatsbürgerliche Erziehung aufgezeigt. Aus den umfangreichen Schriften Litts werden zur Klärung des gegebenen Problems als grundlegende Werke „Geschichte und Leben”, 3 Aufl. Leipzig 1930; ,Die philosophischen Grundlagen der staatsbürgerlichen Erziehung’, in: “Möglichkeiten und Grenzen der Pädagogik”, 2 Aufl. Leipzig 1931; „Idee und Wirklichkeit des Staates in der staatsbürgerlichen Erziehung”, Leipzig, angeführt. Im vorliegenden Aufsatz soll aber in erster Linie Litts bedeutsame Veröffentlichung „Staatsgewalt und Sittlichkeit” im Mittelpunkt stehen, die im Jahre 1942 inmitten der brutalen Geschehnisse der Nazizeit niedergeschrieben und nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1948 (gemäß dem Vorwort bereits 1947) gedruckt wurde. Der grundlegende Standpunkt in Litts Ausführungen über den „Staat” besteht in einer wesentlichen Klärung einer „zeitgemässen” und „gegenwartsnahen” Staatsgewalt vermittels einer „geisteswissenschaftlichen” Methode.
Zum Aufbau der Untersuchung:

  1. Problemstellung. Grundlegender Standpunkt Litts betr. seiner Auffassung vom „Staat”.
  2. Der ethologische Standpunkt Lins in seiner Theorie vom „Staat”.
  3. „Staat und Gewalt”.
  4. Die moderne deutsche Staatsidee und Lifts Idee, besonders im Zusammenhang mit Hegels Staatstheorie.
  5. Litts Staatslehre und seine Wissenschaftslehre.
  6. Lifts Staatsauffassung und seine pädagogische Theorie.

3) „Dilthey und Theodor Litt — Entwicklung der Pädagogik Diltheys im Lichte des Verständnisses von Th. Litt in Japan” (2006): Der Artikel wurde als Symposiumbericht zum 20-jährigen Jubiläum der Gründung der Dilthey-Gesellschaft in Japan geschrieben. Das Thema des Symposiums hieß „Entwicklung der Pädagogik Diltheys — Mannigfaltigkeit, Verwandlung, Krise”. Im Symposium hielte Masashi SAKAKOSHI einen Vortrag über das Thema „Dilthey und Nohl”, Takahiiro TASHIRO referierte über „Die Entartung der Pädagogik W. Diltheys — Das Verhältnis zwischen Dilthey und Spranger” und Shinji NOBIRA über das Thema „Zum kritischen Potenzial der Pädagogik Wilhelm Diltheys”. Die Aufgabe meines Aufsatzes bestand darin, die Pädagogik Diltheys durch die Überprüfung der Litt-Forschungen in Japan zu interpretieren. Damit wurde zugleich auch die Eigentümlichkeit des Verständnisses von Litt für uns in Japan abgeklärt.

  1. Fazit

3.1. Änderung von Themen und Interessen in den Forschungen über Litt

Eine offensichtliche Änderung von Themen und Gegenständen in den Forschungen über Litt erfolgte in den 1960er Jahren in Japan. Konkreter könnte man sagen, dass das Interesse an der Methodologie der Pädagogik, d. h. der pädagogischen Wissenschaftstheorie im früheren Leben von Litt, das an verschiedenen Themen festgemacht werden kann, etwa wie „Menschenlehre”, „Naturwissenschaft und Menschenbildung”, „Arbeitswelt und Menschenbildung”, „Technisches Denken und Menschenbildung” und „Politsche Bildung” in sein späteres Leben verschoben wurde. Damals hat auch das Interesse an seiner Distanzierung vom Nazismus bezüglich der Thematisierung der Kriegsverantwortung der japanischen Pädagogen zugenommen. Diese Änderung der Litt-Forschungen entstand in einem großen Wandel der japanischen Gesellschaft seit den 1960er Jahren, in dem etwa eine scharfe ideologische Gegenüberstellung oder auch die Änderung der industriellen Struktur aufgetaucht sind. Dieser soziale Wandel scheint die Änderung des Interesses von Pädagogen und Lehrer verursacht zu haben. Ein konkretes Beispiel möchte ich hierbei nennen: Damals verstärkte sich die Gegenüberstellung zwischen dem Japanischen Lehrerverband und dem Kultusministerium bezüglich der Bildungspolitik und viele Lehrer haben an der Arbeiterbewegung teilgenommen. Dabei hat einerseits die Gruppe der so genannten „progressiven” Pädagogen einen großen Einfluss auf die Theoretisierung der pädagogiichen Bewegung des Japanischen Lehrerverbandes (NIKYOUSHO) ausgeübt. Andererseits haben die „konservativen” und „orthodoxen” Pädagogen das Kultusministerium theoretisch unterstützt und eine zentrale Rolle für die Revidierung des Curriculum und die „Rangerhöhung” der Moralerziehung gespielt. Trotz eines solchen Zwiespaltes der Erziehungswelt gab es jedoch nicht wenige Lehrer und Pädagogen, die ihren eigenen Standpunkt, unter dieser Situation leidend, gesucht und gefunden haben. Die japanische Übersetzung des Buches „Der lebendige Pestalozzi — Drei sozialpädagogische Besinnungen” von Litt wurde genau zu dieser Zeit, nämlich im Jahre 1960, publiziert. Sie wurde von den „einsichtsvollen” Lehrern und Pädagogen mit Begeisterung aufgenommen. Auf dem Einband der japanischen Übersetzung stand sinngemäß folgendes: „Wie viele Eltern und Lehrer existieren heute, die das Selbstbewusstsein für die Bedeutung und die Wichtigkeit der Erziehung im echten Sinne besitzen? Unter den vielen Veröffentlichungen über die Erziehung könnte dies das erste Buch sein, das den Leser anregt, über die wahre Bedeutung der Erziehung, über Freude und Trauer des Lehrers tief nachzudenken”. Der indirekte Einfluss von Litt durch diese Übersetzung sollte nicht gering geschätzt werden. Neben dieser Schrift befanden sich die anderen Übersetzungen von Litt, etwa wie „Führen oder Wachsenlassen” (1971), „Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt” (1988), „Technisches Denken und menschliche Bildung” (1996) in Japan, die alle eine große Aufmerksamkeit bei den japanischen Lesern gefunden haben. Ich möchte noch dazu hinzufügen, dass das Interesse an der anthropologischen Forschung in Japan durch die Debatte um die „Pädagogische Anthropologie” — zwischen O.F. Bollnow und H. Roth — in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren verstärkt wurde, die einen wichtigen Hintergrund zur Aufnahme der Theorie von Litt vorbereitet hat.

3.2. Wichtige Aufgaben für die weiteren Forschungen über
Th. Litt. Eine persönliche Anmerkung.

(1) Eine wissenschaftliche Abklärung mit der Problematik der „politischen Bildung” auf der Grundlage der Demokratie: Das Thema des diesjährin-gen XIV. Theodor-Litt-Symposions „Freiheit und Lebensordnung” kann als relevante Aufgabe auch für die aktuelle Situation in Japan gelten. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind etwa 60 Jahre vergangen. Heute fragt man sich oftmals ernsthaft, ob in Japan nicht lediglich eine oberflächliche und nur institutionelle „Demokratie” herrscht, und ob die „demokratische Praxis” mit dem subjektiven „demokratischen Denken” jeder Nation in unserem sozialen Leben verwirklicht wird.

(2) Überprüfung der Ansicht über die Lehrerausbildung von Litt: Es existiert aktuell ein allseitiger Stillstand bezüglich der Lehrerausbildung — sowohl auf der Ebene von Ideen, der Institution Schule, des Curriculums und auch der Methoden. Es sei angemerkt, dass in Japan nach dem Zweiten Weltkrieg der amerikanische Typ der Lehrerausbildung eingeführt wurde. Auch wegen des Wandels der sozialen Situation — z. B. die Änderung der Familienstrukturen, der Geburtenrückgang — sollte man die grundsätzliche Reform der Lehrerausbildung unter allen zwingend erforderlichen Reformen im Erziehungswesen vorzugsweise durchführen.

(3) Für relevant halte ich das Problem der „Staatsbürgererziehung” im weitesten Sinne, vor allem den Komplex der „Moralerziehung”, die mit der „Werterziehung” im deutschen Ausdruck verglichen werden kann. Dies bezieht sich auf das erste Thema “Politische Bildung”.

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