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Forschung

Antinomie: ein Thema in Litts Philosophie und Pädagogik auch in theologischer Sicht14 min read

Der Egoismus unserer Tage
Analysen und Antworten in
Theodor Litts Integrationslehre
LEIPZIGER UNIVERSITÄTSVERLAG GMBH
2016

KLAUS FITSCHEN
Antinomie: ein Thema in Litts Philosophie und Pädagogik auch in theologischer Sicht

Was Theodor Litt immer wieder interessant macht, ist seine Zeitgenossenschaft als Philosoph und Pädagoge und — gerade aus der Sicht des Theologen natürlich —seine Beziehung zur christlichen Überlieferung. Dabei war Litt ein Wissenschaftler im Durchgang durch die politischen Systeme; spannender geht es kaum in einer Wissenschaftsbiographie.
Das Stichwort Antinomie gehört in diesen Rahmen hinein, denn es dient letztlich der Interpretation historischer Erfahrung in diesen Systemen unter ganz unterschiedlichen Rahmenbedingungen: der vielberedeten Krise der Weimarer Republik, der Gleichschaltung des Geistes im Nationalsozialismus und der Erfahrung einer dynamischen und nicht zuletzt technischen Modernisierung in der frühen Bundesrepublik.
Es lohnt sich, Theodor Litt in seinem Denken über Antinomie in einer historischen Spannweite zu folgen. Litt konstatierte 1924 in der Schrift „Die Philosophie der Gegenwart und ihr Einfluss auf das Bildungsideal”: „Wenn so etwas wie deutsche Bildung sein oder werden soll, so muß es einer von den schmerzlichsten Dissonanzen und schier unauflösbaren Antinomien zerrissenen Wirklichkeit abgewonnen werden.” Die Antinomien, von denen er sprach, waren die, die man am Beginn und am Ende der Weimarer Republik zu sehen meinte, und sie wurden von ihm in der für ihn typischen Sprache so konkretisiert „… überall mühseliges Ringen in drangvoller Enge, überall Mischung und Gärung nicht zu versöhnender Elemente, überall Widerstreit, sei es in den gröberen Formen des bloßen Daseinskampfes, sei es in den sublimeren, darum aber nicht milderen Formen der Weltanschauungs-konflikte”.

Nun gehörte Litt aber nicht zu den Kulturpessimisten, die sich dem Kriseng( hingaben und auf eine Restauration oder ein völkisches Erwachen wart sondern er suchte nach einem Neuanfang dieser Art: „Vermöchte wahre Bil nur da zu erblühen, wo die Kräfte sich zu sinnvoll geordneter Bewegung ha nisch zusammenfügen — eitel wäre jede Hoffnung, aus diesem Chaos einen Ko zu entbinden […]. Nur wenn auch im leidenschaftlichsten Kampf der Inter( und der Ideen, nur wenn in der härtesten, gegen Neigungen und Bedürfnisse gleichgültigen Mühsal, nur wenn im geduldig ausharrenden Dienst der Geist sich selbst zerreibt und verliert, sondern zu neuen Formen durcharbeitet — nur dai auch jetzt noch für deutsche Bildung mehr zu erhoffen, als ein langsames zehren des väterlichen Erbes.”
Die Antinomie, darauf ist an dieser Stelle hinzuweisen, war für Litt etwas Positives, etwas Produktives, etwas, das aus Kant und Hegel gewonnen die Spannungen der Zeit Neues hervorbringen ließ. Zum eigentlichen Durchbruch kan Antinomie-Motiv bei Litt freilich erst zwei oder auch drei politische Systeme ter und unter ganz anderen politischen Rahmenbedingungen, so in seiner Schrift „Das Bildungsideal der deutschen Klassik und die moderne Arbeitswelt” aus Jahre 1955. Naturwissenschaft und Technik waren für Litt die neuen und dom ten Rahmenbedingungen menschlichen Lebens, aus denen die Gefahr der Ver lichung in allen Lebensbereichen erwuchs. Hier aber galt: „Daß der Mensch nicht auf Harmonie angelegte, sondern in Gegensätzen verfangen und gera Gegensätzen wachsende Wesen ist — dies ist es, was sich einzugestehen den] kern der modernen Kultur widerstrebt.” Somit kommt hier auch das Antim Motiv wieder zum Tragen, das hier auf den Gegensatz von Mensch und Sacli zogen wurde: „Als Antinomie bezeichnen wir seit Kant diejenigen im Lebe Menschen auftretenden Widersprüche, die sich nicht etwa aus den Besonderl der jeweiligen seelischen, gesellschaftlichen, geschichtlichen Lage ergeben, dern in der Grundstruktur seines geistigen Wesens als unabänderliche Konst vorgezeichnet sind — die infolgedessen auch dann, wenn sie entdeckt und a sprochen sind, nicht beseitigt werden können.” „Als ‚gebildet’ darf darnach nur gelten, wer diese Spannung sieht, anerkennt und als unaufhebbares Grundmotiv in seinen Lebensplan einbaut.”‘ Interessanterweise untermalt Litt dieses Konzept mit einem Rekurs auf den Sündenfall: „Der Mensch lernt mit der Arbeitswelt, in der sich sein Tagewerk vollzieht, in Frieden leben, weil sie freigesprochen ist von der Anklage, in einem fluchwürdigen Fehltritt ihren Ursprung zu haben.”
rten,Antinomie wird also unter den Bedingungen der Moderne zum Thema. Eine Seitenreferenz dazu bildet Litts Schrift „Individuum und Gemeinschaft”, die in der zweiten Auflage mit dem Untertitel „Grundlegung der Kulturphilosophie” erschien. 1919 kam das Buch zum ersten Mal heraus und wurde zu seiner Eintrittskarte in die akademische Welt. Die erste Auflage atmet den Geist der Zeit, wenn Litt im Vorwort von den „Prüfungen, die unserem Volke beschieden waren und deren Ende noch nicht abzusehen ist” und von „unserer rat- und führerlosen Welt” sprach.’ Dies wurde von Litt selbst schon im Vorwort zur zweiten Auflage von 1923 kritisch kommentiert, und das Buch wurde nach der ersten Auflage auch geradezu umgeschrieben und von allzu zeitbezogenen Ausführungen befreit. Litt erwies sich also schon hier als Theoretiker, der die Dinge mit einer gewissen Epoche sehen wollte, was die Lektüre von Texten Lite, wie ich finde, nicht unbedingt erleichtert. Es lohnt sich darum, nicht die ersten beiden, sondern die 1926 erschienene dritte Auflage von „Individuum und Gemeinschaft” zu befragen, die für Litt selbst ja die kanonische wan11 Litts Anspruch war es, Individuum und Gesellschaft in den immer wieder diagnostizierten Krisen der Weimarer Republik zusammen zu denken, und dementsprechend ist seine Rede vom „Ich” ja letztlich undenkbar ohne dessen Sozialität, ohne das „Du”. Andererseits erweist sich Litt auch nicht als Anhänger eines „organischen” Gesellschaftsdenkens romantischer Prägung, in das hinein das Individuum geradezu aufgelöst wird.
Solche Vorstellungen sind allerdings bald darauf doch auch bei ihm zu finden, nämlich in der 1931 erschienenen Schrift „Idee und Wirklichkeit des Staates in der staatsbürgerlichen Erziehung”. Darin sprach Litt von der „Krisis des Staatsbewusstseins” und diagnostizierte eine Staatsverdrossenheit, ja Staatsfeindschaft des Bürgertums”. Den Grund sah Litt in dem „Geraufe um partikulare Augenblicksvorteile”, in einem „regel-, ordnungs- und ziellosen Gewirr kurzsichtiger Sonderbegehrungen und Sonderaktionen, das in seinem von keinem Gedanken ermessenen und beherrschten Endeffekt das Ganze wie die Glieder mit gleichem Siechtum schlägt”. Die Staatsverdrossenheit unserer Gegenwart hat also einen Vorläufer, dessen soziale Basis in der Weimarer Republik freilich viel breiter war als heute. Individualismus und Gruppeninteressen, so könnte man es übersetzen, drohten in Litts Sicht den Staat zu gefährden.
Damit aber gelangte Litt zu Gedankengängen, die solchen nahekamen, die in Anlehnung an Fichte und mit gehörigem nationalprotestantischem Einschlag von einem je besonderen Volksnomos oder ähnlichem sprachen. Litts These lautete: „Jedes Gebilde, das aus einer eigenen Idee heraus lebt und handelt, steht unter dem Gebot seiner besonderen ,Idee”.16 Es existiert also keine einheitliche Idee des Staates, sondern jeder Staat hat „sein individuelles ‚Prinzip’ als Quelle seiner Ge- staltwerdung im Raum des geschichtlichen Lebens”17. Die, wie man wohl sagen darf, fatale Folge ist die zeittypische Abwertung des Rechts- und Verfassungs- staates zugunsten von Vorstellungen einer „organischen” Staatsordnung, die dem Staat ein merkwürdiges, geradezu biologisches Eigenleben zuweist. Die verfas- sungsmäßige Ordnung ist nach Litt also darauf zu überprüfen, „ob und wie sie sict dem gesamten Lebensprozeß dieses konkreten Gemeinwesens einfügt: ob sie sein( Kraft, seine Aktionsfähigkeit, seinen Lebensinhalt bereichert oder steigert — odei ob sie etwa Lebens- und Leistungsmöglichkeiten unterbindet”18. Bei Litt häng daran die Vorstellung, dass sich der Staat gleichsam seine Seele bewahrt habe übe: den politischen Umbruch des Jahres 1918/19 hinaus: „Über allen Wechsel ihre verfassungsmäßigen Formen hinweg hält die ,Staatspersönlichkeit’ die Kontinuitä ihrer Lebenslinie ein.”19 Dahinter fallen dann aber alle anderen Individuen zurück.

Wenn Litt von der „durch die Gegenwart auf den Thron erhobenen Staatsfonn” spricht, hebt er in darin den Gegensatz von Republik und Monarchie auch sprachlich auf. „Treue gegen die Vergangenheit, Wille zur Gegenwart, Offenheit für die Zukunft” war also das Motto, und in diesem Sinne sollten sich Idee und Wirklichkeit durchdringen. Dies ist dann allerdings auch der Schritt, in dem Litt von der Philosophie abgleitet in das vorphilosophische Empfinden: „In einem tieferen Sinne ‚wissen’ um den Staat kann nur derjenige, der sein ganzes Ich bis auf den Grund von dieser großartigen und furchtbaren Wirklichkeit hat durchfluten lassen: solches aber widerfährt nur dem, der sich ganz und gar dem Gegenwärtigen hin-gibt.” Auch hier stellt sich die Frage, welchen Rang die Selbstbestimmung des Individuums eigentlich haben sollte. Den konkreten Ertrag seiner Überlegungen ließ Litt dann offen; am Ende seines Vortrags steht die Dialektik und darin die Abwehr der Extrempositionen einer Idealisierung wie einer Verwerfung der gegenwärtigen Staatsform und ihrer Verfassung.”
Nun ließe sich einwenden, dass es ja bei Theodor Litt auch das Grundmotiv der Ich-Du-Relatio gebe, wie es auch schon in „Individuum und Gemeinschaft” angelegt ist und dass sich von hier aus vielleicht eine Hochschätzung des Individuums ableiten ließe. Besonders eindrücklich hierfür ist auch sein Aufsatz „Die Bedeutung der pädagogischen Theorie für die Ausbildung des Lehrers” aus dem Jahre 1946. Hier widmet sich Litt dem pädagogischen Beziehungsgeschehen, das nicht durch ein „Ich” und ein „Es” konstituiert ist, sondern durch ein „Ich” und ein „Du”: „die Beziehung zweier Wesen, die einander in grundsätzlicher Gleichberechtigung gegenüberstehen””. Die Gefahr aber ist diese: „Eine tief wurzelnde und im Fortgang der Entwicklung immer stärker hervortretende Neigung bringt den Menschen dahin, die Ich-Du-Relation zugunsten der Ich-Es-Relation zu verkümmern, wohl gar zum Verschwinden zu bringen.” Freilich sollte diese Beziehung zwischen Erzieher und Zögling auch nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Kontext des Wirkens überpersönlicher Mächte oder der geschichtlichen oder geistigen Lage.Diese ist im Jahre 1946 wie in der Zeit nach 1918 eine Katastrophe oder Krise, eine schwere Erschütterung und Bedrohung.
Man darf also auch Lins wiederkehrende Krisenstimmung nicht vergessen, mit der er nach 1945 an die Zeit vor 1933 anknüpfte. Brücken in die Gegenwart zu schlagen ist, wie ich meine, eher waghalsig, auch wenn der Begriff „Flüchtlingskrise” doch eine auffällige Konjunktur hat, so als seien die deutsche Politik, Wirtschaft und Bildungswesen nicht in der Lage, Herausforderungen dieser Art zu bewältigen. Vielleicht aber hätte manchen in den frühen 1990er Jahren der Begriff „Wiedervereinigungskrise” auch gut gefallen.
In einem abschließenden Gedankengang sei noch auf den Theologen Litt eingegangen, der er allerdings ausdrücklich nicht sein wollte, und es ließe sich fragen, wie er in dieser Perspektive die Antinomien in der Gesellschaft und die Rolle des Individuums beschrieb. Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist seine 1939 veröffentlichte Schrift „Protestantisches Geschichtsbewusstsein. Eine geschichtsphilosophische Besinnung”. In einer Vorbemerkung schrieb er: „Ich habe zwar, wie jeder Kundige bemerken wird, aus den theologischen Erörterungen des letzten Menschenalters gelemt. Ich bin aber nicht kühn genug, in diese Erörterungen selbst eingreifen zu wollen. Die „Vorbemerkung” war datiert auf den November 1938, sie wurde also geschrieben in einer Zeit, der nicht „theologische Erörterungen” vorangegangen waren, sondern schwere Kämpfe um Deutungshoheiten über die evangelische Theologie und ebensolche Kämpfe um Wesen und Gestalt der evangelischen Kirche, die in sich tief gespalten war und das auch innerhalb der „Bekennenden Kirche”, die der nationalsozialistischen Ideologie und Kirchenpolitik kritisch gegenüberstand.
Dies konnte Litt in Leipzig aus nächster Nähe miterleben, und dies blendet er auch gar nicht aus, sondern schließt seine „Vorbemerkung” mit der Hoffnung, er könne, indem er „das Wesentliche und Dauernde am protestantischen Geschichtsverständnis” herausarbeite, „am ehesten zum Meinungskampf unserer Tage etwas Sachdienliches beisteuern”.30 Gleich zu Beginn des Werkes wird dann deutlich, dass Litt sich an einer Art Apologetik versuchen will in einer Zeit, „da die Frage nach Wesen und Wert des Christentums so stark die Gemüter bewegt”.

Letztlich aber wandte sich Litt der Pädagogik zu, die zu dieser Zeit ja unter ganz anderen Prämissen als philosophischen stand, und er ging vor allem auf Pestalozzi ein. Bemerkenswert ist dann ein Satz wie dieser, aus Pestalozzi abgeleitete: „Es gibt schlechterdings keine Form und Weise menschlichen Verhaltens, die als solche wider die Möglichkeit dämonischer Selbstverkehrung gefeit wäre.”” Hier aber liegt für Litt die Differenz zum Idealismus, dem er Pestalozzi zurechnet: Pestalozzi vermag das Negative nicht gänzlich in eine Dialektik zu integrieren. Vielmehr gilt: „Das Abwegige, das Böse, das Zerstörerische bleibt in seiner ganzen Dunkelheit und Feindseligkeit stehen.”” Damit aber bleibt auch die Geschichte dem Menschen im Ganzen unverständlich.” Die Erkenntnis, die dem Menschen offensteht, ist also das „Wissen der nicht versöhnten Antinomik des Daseins”, und sie „drängt über sich hinaus und wird zum Anruf an den ganzen, den nicht bloß schauenden, sondern auch wollenden und handelnden Menschen”.
Auffällig ist, dass Litt gerade in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur den Protestantismus ins Spiel bringt. Darauf hatte auch schon Georg-Siegfried Schmutzler in einem Beitrag für das Theodor-Litt Jahrbuch 2001 hingewiesen.” Litt sieht das typisch Protestantische zum einen in einem „elementaren Drang umfassender Menschenliebe” für die Namenlosen in der Geschichte,” von denen es im Jahre 1939 ja schon unzählige gab, und zum anderen in der Erkenntnis der Verführbarkeit des Menschen und der, so könnte man sagen, fehlenden Selbstheilungs-kräfte der Geschichte: „Es heißt protestantisch denken, wenn man auch im Großen und Hinreißenden den Keim möglicher Verderbnis sieht.”” Typisch protestantisch ist für Litt aber auch die Gestaltungsaufgabe in der Welt, die er ebenfalls bei Pesta-lozzi begründet sieht und die durch die Erkenntnis der Verfiihrbarkeit des Menschen nicht gelähmt werden darf: „Denn protestantisch ist es doch wohl, dies scheinbar einander Widersprechende bis zur Untrennbarkeit zu vereinigen: die Einsicht in die Unvollendbarkeit alles im irdischen Raum sich abspielenden Strebens und die Entschlossenheit, in diesem Raum zu bessern, zu leisten, zu schaffen, was die endlich Kraft nur immer hergibt.”” Dem Protestantismus ist also die Antinomie schon sei nem Wesen nach eigen. Immer wieder weist Litt die Reduktion auf das Jenseitig ab — vielleicht eine versteckte Kritik an der nationalsozialistischen Propaganda, di gerade diesen Bereich noch für die Kirchen vorgesehen hatte.
Darum lohnt es sich, auch an diesen Ansatz Litts zu erinnern, der in einer Zei entstand, als das Böse kaum böser sein konnte. Theologische Denkmuster wi Schöpfung und Fall, freier Wille und Erbsünde sind Kategorien, von denen Litt kei nen Gebrauch macht, aber zumindest in der Zeit des Dritten Reiches deutet er ar dass Antinomien total und radikal und nicht integrierbar sein können. Seine Sympathien für Hegel fanden spätestens hier ihre Grenze. Dies scheint auch durch i seinem Buch „Mensch und Welt: Grundlinien einer Philosophie des Geistes”, da 1948 erschien, dessen Manuskript aber bereits im Jahre 1939 fertiggestellt war. In seiner Einleitung behandelt Litt das Verhältnis von philosophischer und christlich( Anthropologie, und wieder ist der Hintergrund die Ideologie des Nationalsozialie mus, genauer gesagt: die Alfred Rosenbergs. Litt bezieht sich hier auf den Konflil zwischen Luther und Erasmus, also auf den Konflikt um die Willensfreiheit de Menschen — und das ist auch der „Geisteskampf der Gegenwart”. Freilich liiel die Lösung bei Litt dann wie so häufig beim deutschen Idealismus, der das Zit hatte, „Wesen und Bestimmung des Menschen im Zusammenhang der Gesam wirklichkeit zu begreifen”. Tatsächlich in der Zeit des Nationalsozialismus gedruckt, nämlich 1938, wurde Litts Auseinandersetzung mit Alfred Rosenberg in der Schrift „Der deutsche Geist und das Christentum”. Litt machte sich darin im Vorwort ausdrücklich selbst als Verteidiger des Christentums auf philosophische Grundlage kenntlich.43 Wichtig im Titel ist das „und”, das die „Großtaten deu schen Geistes” nicht dem deutschen Geist alleine zugerechnet wissen wollte. Auch wenn Litt sich in Sprache und Denkweise weit auf das Terrain der völkischen Anschauungen Rosenbergs begab, kam er doch auf seine eigensten Vorstellungen zurück und so auch auf den Begriff der Begegnung, nicht nur mit Menschen, sondern z.B. auch mit der Natur.
Grundsätzlich scheint doch Litts Staatsverständnis für die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft oder Individuum und Gesellschaft entscheidend zu sein. Seine Integrationslehre hatte ihren Reiz in einer Zeit, in der der Staat noch in starker Überhöhung als eine Art geschichtlicher Hypostase gesehen wurde. Das moderne Leitbild aber ist ja nun ein anderes: Partizipation und Bürgergesellschaft wären Stichworte, Verwaltungsgerichte Instrumente, Selbstbestimmung und Autonomie des Einzelnen Zielvorstellungen. Die Individualisierung ist bekanntermaßen, ebenso wie die Pluralisierung, prägend für die Moderne. Litt aber kannte eine solche Individualisierung nicht oder wollte sie nicht kennen — so oder so lehnte er sie ab. Wo sich bei Litt Kreise bilden, die den Staat gleichsam von innen ausfüllen, bieten sich freilich Anknüpfungspunkte an, zumal Litt der „Widerstreit der Teilgruppen” aus seinem Gesamtverständnis nicht als Störung, sondern als Normalität bekannt war.” Die Betonung der Bedeutung von Gruppen ist demnach durchaus zukunftsweisend, wenn man davon ausgeht, dass die Zivilgesellschaft nicht allein aus Individuuen bestehen kann, sondern temporäre oder längerfristige Zusammenschlüsse von Menschen braucht. Auf der anderen Seite scheint die Vorstellung, der Staat ließe sich letztlich durch eine Kulturleistung bauen, doch fragil, denn auch wenn der Staat nicht mehr seinen hypostatischen Charakter früherer Zeiten hat, bedarf doch der Rechtsstaat solcher Fundamente, die nicht immer wieder neu austariert werden müssen.

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