Theodor Litt und die Gründung der Pädagogischen Fakultät an der Universität Leipzig 194630 min read

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KONRAD KRAUSE
Theodor Litt und die Gründung der Pädagogischen Fakultät
an der Universität Leipzig 1946

Im Mittelpunkt meines Beitrags stehen die Auffassungen, die Theodor Litt zur Gründung Pädagogischer Fakultäten an Universitäten in der Sowjetischen Besatzungszone vertreten hat. Ganz speziell sollen weiterhin einige Erkenntnisse zu der Rolle herausgestellt werden, die der Gelehrte bei der Gründung der Pädagogischen Fakultät an der Universität Leipzig gespielt hat. Es geht also in meinen Ausführungen vordergründig um einen Zeitraum in der Nachkriegsgeschichte der Universität Leipzig, den man etwa zwischen dem Herbst 1945 und dem 1. Oktober 1946 einordnen kann. An diesem Tag nahm die Pädagogische Fakultät ihre Arbeit auf.

Zur Machtfrage im antifaschistisch-demokratischen Block

Die Machtfrage im antifaschistisch-demokratischen Block und der davon abhängige Handlungsspielraum, den die Besatzungsbehörde den Parteien gewährte, war bis 1950 auch an der Universität zu Gunsten der SED und FDJ entschieden.
Die hoffnungsvolle antifaschistisch-demokratische Phase der Nachkriegsentwicklung war zu Ende gegangen. Betriebsgruppen der CDUD oder der LDPD, die bisher an der Universität Leipzig politisch tätig waren, spielten keine Rolle mehr. Sie wurden verboten. Während meiner Studienzeit war ohne Unterlass die Rede von der Notwendigkeit der Ausmerzung des bürgerlichen Elements an der Universität — sowohl im Lehrkörper als auch in der Studentenschaft — und der Errichtung einer „Diktatur des Proletariats”: Ein Widerspruch für jeden denkenden Studierenden schon deswegen, weil der soeben gegründete Staat „DDR” sich „Demokratische Republik” nannte.
In der SED setzte der Kampf gegen den Sozialdemokratismus ein, durch den unliebsam gewordene Genossen zurückgedrängt wurden. In der FDJ begann eine Überprüfung der Mitglieder auf ihre „Reinheit” hin, wobei besonders die Haltung gegenüber der „Jungen Gemeinde” eine ausschlaggebende Rolle spielte.

Die Einschätzung von Theodor Litt durch eine sich etablierende SED-Geschichtsschreibung

Prof. Litt selbst war zu dieser Zeit von einer sich etablierenden SED-Geschichtsschreibung, die methodologisch auf der Grundlage des Klassenkampfes und der Auffassung basierte, dass alle bisherige Geschichte Ausbeutergeschichte war und nur die anbrechende neue Zeit von diesem Makel frei sei, schon in den Kreis der imperialistischen Kriegstreiber und revanchistischen Kriegsvorbereiter eingeordnet und bald zum Hofphilosophen von Adenauer degradiert worden.

Eine allgemeine Anmerkung zur Litt-Forschung

Und noch eine andere allgemeine Anmerkung sei meinen Ausführungen vorangestellt:
Wenn man über Theodor Litt spricht, so muss man sich natürlich stets Fragen, ob es bei der Vielzahl der über den Gelehrten bereits erschienenen Publikationen, wissenschaftlichen Arbeiten und Meinungsäußerungen überhaupt noch möglich ist, den Einsichten und Ergebnissen noch etwas Neues hinzuzufügen oder ob man sich mit seinen Ausführungen wiederholt.
Die Chance, das erarbeitete Litt-Bild und Abschnitte aus seiner Biographie, seinem wissenschaftlichen und seinem wissenschaftsorganisatorischen Wirken zu erweitern und zu vertiefen, scheint mir jedoch immer dann im hohen Maße zu bestehen, wenn man sich unter solcher Sicht mit lokalgeschichtlichen Ereignissen beschäftigt und dabei einen guten Quellenfund macht. Im Falle Litt bedeutet das zu versuchen, speziell sein öffentliches Wirken in der Stadt Leipzig und an der Universität weiter zu erhellen. Letzteres wäre zugleich ein Beitrag zur Universitätsgeschichte, insbesondere zur Entwicklung ihrer erziehungswissenschaftlichen Fachrichtungen. Immerhin hat Litt von 1920 bis 1947 in Leipzig gelebt und hier — wenn auch mit einer Unterbrechung von 1937 bis 1945 — an der Universität gewirkt. Das sind 27 Jahre, die Litt Leipziger war.

Litt und die Gründung der pädagogischen Fakultät

Ich möchte meine Behauptung durch einen Hinweis auf zwei Beispiele aus der unmittelbaren Nachkriegszeit belegen:

  1. Nach der Besetzung der Stadt Leipzig durch Truppen der 2. und 69. amerikanischen Infanteriedivision setzten die amerikanischen Militärbehörden den parteilosen Juristen Dr. Vierling als Bürgermeister ein. Dieser bildete zur Unterstützung seiner Arbeit einen Bürgerbeirat, der relativ häufig tagte. Wie mir durch einen Zufall bekanntgeworden ist, gehörte ihm auch Theodor Litt als Vertreter der Universität an. Die Beratungsprotokolle befinden sich im Stadtarchiv. Aus ihnen könnten sicher genauere Einsichten zum Auftreten und Verhalten Litts in dieser Zeit gewonnen werden. Die Unterlagen im Stadtarchiv Leipzig sind nach meinem Wissen unter dieser Sicht noch nicht ausgewertet worden.
  2. Für Leipzig endete der 2. Weltkrieg am 20. April 1945, nachdem der militärische Stadtkommandant Oberst von Poncet eingesehen hatte, dass es ohne Sinn ist, mit seinen 200 bis 300 Soldaten aus dem Inneren des Völker-schlachtdenkmals heraus den Versuch zu unternehmen, die Stadt zu verteidigen.
    Sofort nach der Kapitulation schlug im Namen des National-Komitees „Freies-Deutschland” ein Dr. Ley den Amerikanern vor, den Kommunisten Paul Kloß als Bürgermeister von Leipzig einzusetzen. Dr. Ley, von Haus aus ein studierter Zahnmediziner, habilitierte sich im Oktober 1948 an der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig mit einer Arbeit zum Thema: „Erkenntnistheoretische Probleme des Marxismus” , die er, wie er selbst angab, in der NS-Zeit geschrieben hatte. Während seiner Studienzeit Anfang der 30er Jahre an der Universität Leipzig leitete er die kommunistische Studentenfraktion. Vorher war er wegen seiner überbetonten Treue zur Sowjetunion und seiner starken Linksorientierung aus der SPD ausgeschlossen worden, so dass er 1930 in die KPD eintrat.
    Genau dieser Dr. Hermann Ley wurde am 1. Dezember 1948 an der Pädagogischen Fakultät der Universität Leipzig als Professor mit Lehrauftrag für Theoretische Pädagogik eingestellt. Nachweislich hatte sich Ley bisher nicht mit Theoretischer Pädagogik befasst. Er habilitierte sich für das Gebiet „Dialektischer und Historischer Materialismus”. Mehr noch: Man übertrug ihm an der Pädagogischen Fakultät nach dem Weggang Litts auch die (kommissarische) Leitung des Instituts für Theoretische Pädagogik, die zwischenzeitlich Litts Stellvertreter Prof. Petzelt übernommen hatte.
    Sicher war Dr. Ley ein vielseitiger, wendiger und kluger Mann, das sei hier überhaupt nicht in Frage gestellt: Ein ausgewiesener Erziehungswissenschaftler und erfahrener Spezialist für die Erforschung pädagogischer Problemstellungen und für die Lehre auf dem Gebiet der Theoretischen Pädagogik hingegen war er natürlich nicht. In dieser Zeit hatte so bei der Auswahl von Personen in gehobenere Stellungen deren marxistische Gesinnung und die vorbehaltlose Bereitschaft zur Förderung sowjetischer Interessen eine größere Bedeutung als die jeweilige Sachkenntnis. Sicher spielte bei dieser Wahl auch eine Rolle, dass in politischen Diskussionen dieser Tage, ich denke hier an die großen Massenveranstaltungen in der Kongresshalle Leipzig, Dr. Ley als Opponent von Prof. Litt aufgetreten ist. Aber auch hier steht eine genauere Untersuchung aller Beweggründe und Umstände für die Berufung von Dr. Ley noch aus.
    So kam es zumindest nach dem Weggang von Litt zu der kuriosen Situation, dass ein Zahnarzt, der mit dem Thema: “Karies, eine statistische Untersuchung an 2000 Luftwaffensoldaten” 1943 an der Medizinischen Fakultät der Universität Leipzig promoviert wurde und der sich im Oktober 1948 in einem Schnellverfahren an der neugegründeten Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig für das Gebiet „Dialektischer und Historischer Materialismus” habilitierte, durch die Berufung für das Gebiet „Theoretische Pädagogik” unmittelbarer Nachfolger von Theodor Litt wurde.
    Am 27. Dezember 1945 wurde Theodor Litt 65 Jahre alt. Ich möchte auch das hier herausstellen, um bei der Charakterisierung des Lebensabschnittes Lifts nach dem Krieg die hohe Einsatzbereitschaft des Gelehrten aufzuzeigen, die er noch in einem vorgeschrittenen Alter zeigte, denn sowohl in der Zeit der amerikanischen Besatzung Leipzig als auch nach dem Einmarsch der Roten Armee am 2. Juli 1945 hat er aktiv beim Versuch einer demokratischen Erneuerung des öffentlichen Lebens mitgewirkt. Das Gebäude, in dem sich 1937 das Institut von Litt befand, hatte der Krieg ausgelöscht.

Gründe für Litts ablehnende Haltung zur Fakultätsgründung

Litts ablehnende Haltung zur Gründung Pädagogischer Fakultäten lässt sich besser verstehen, wenn man zunächst einige Anmerkungen zur Entwicklung der Fakultätsstruktur an der Universität Leipzig macht. Auch hier schlossen sich die Studierenden nach ihrem Herkunftsort bis zum Jahr 1830 in Universitätsnationen zusammen. Nach den Studieninhalten hingegen gliederte sich die Universität, wie allgemein üblich, in Fakultäten, ein Organisationsprinzip,das z.B. auch an der Universität Prag oder noch früher an der Universität Paris praktiziert wurde, die bekanntlich das Vorbild für Leipzig waren.
Allerdings gab es 1409 im Gründungsjahr zunächst nur die Theologische Fakultät und die Fakultät der 7 freien Künste, für die auch die Bezeichnung Artistenfakultät üblich war. Aus ihr ging später die Philosophische Fakultät hervor. Die Medizinische Fakultät wurde in Leipzig erstmalig am 10. Juli 1415 urkundlich erwähnt, die Juristische Fakultät wohl erst 1446 gegründet. Diese Vierteilung bestand in Leipzig über Jahrhunderte, und zwar von 1446 bis zum 1.10.1923. Erst in diesem Jahr kam mit der Veterinärmedizinischen Fakultät nach der Auflösung der Tierärztlichen Hochschule in Dresden eine neue Fakultät hinzu.
Solche Zeiträume verdeutlichen, dass die Gründung einer neuen Fakultät ein hochrangiges, seltenes und außerordentliches Ereignis im Leben einer Universität war. Von 1923 bis 1945 gab es somit an der Universität Leipzig nur fünf Fakultäten. Heute sind es 14. Die letzte Gründung war die der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät am 2. Februar 1994.
Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg wurde die Handelshochschule Leipzig aufgelöst und ihre Fachrichtungen in die Universität eingegliedert. Als die Universität am 5. Februar 1946 unter der sowjetischen Besatzungsmacht den Lehrbetrieb wieder aufnahm, wurde deswegen eine Finanzwirtschaftliche Fakultät eingerichtet, die man jedoch bald in Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät umbenannte. Somit gab es zur Wiedereröffnung an der Universität Leipzig sechs Fakultäten. Die Pädagogische Fakultät nahm schließlich am 1.10.1946 ihren Lehrbetrieb auf. Sie war zu diesem Zeitpunkt die 7. Fakultät.
Ich habe diese Ausführlichkeit beim Vorstellen der Fakultätsstruktur gewählt, um Litts zögerliche Einstellung zur Gründung einer Pädagogischen Fakultät auch besser aus einer allgemeinen Universitätstradition heraus deutlich zu machen: Mit Fakultätsneugründungen ließen sich die Universitäten immer viel Zeit.
Litt hatte natürlich keine Einwände gegen eigenständige Organisationsstrukturen pädagogischer Fachrichtungen. Eine eigene Fakultät zu gründen war für ihn jedoch eine übertriebene, unangemessene und organisatorisch und inhaltlich überzogene Zielstellung. Und die Wiederauflösung der Pädagogischen Fakultät bis zum Wintersemester 1955/56 hat im gewissen Sinne seine Auffassung bestätigt, wenn auch in der Zwischenzeit zusätzlich DDR-hausgemachte hochschulpolitische Faktoren im Hochschulwesen gegen die Existenz Pädagogischer Fakultäten wirksam wurden. In Rostock löste man die Pädagogische Fakultät schon 1952 auf, in Berlin allerdings erst 1959.

Der Gründungsbefehl Nr. 205 der SMAD

Die Gründung der Pädagogischen Fakultäten stellte nun insofern noch eine Besonderheit dar, als sie nicht aus einem Entwicklungsprozess innerhalb der Universität hervorging, sondern auf der Grundlage des Befehls Nr. 205 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 12. Juli 1946 vorgenommen werden musste. Von den Professoren der Philosophischen Fakultät wurde natürlich ein derartiges Vorgehen als ein Eingriff in die Autonomie der Universität verstanden, so dass es auch aus diesem Grunde zu einer Gegenreaktion kam. Dies ist ein zusätzlicher Grund für die ablehnende Haltung Litts.
Die Art solcher Eingriffe in die Universitätsautonomie erfuhr noch eine Steigerung, als am 15. Februar 1947 an der Universität Leipzig durch den Befehl Nr. 333 der SMAD zusätzlich eine Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät gegründet werden musste, so dass sich die Zahl der Fakultäten an der Universität Leipzig bis zu diesem Zeitpunkt auf insgesamt acht erhöhte.

Zur Haltung der Vertreter der Philosophischen Fakultät

Wie die Vertreter der Philosophischen Fakultät über die Neugründung der Pädagogischen Fakultät dachten und welche Auffassungen sie in ihren Sitzungen äußerten, kann man aus den Protokollen der Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät rekonstruieren, die im Universitätsarchiv als Quellenmaterial zur Verfügung stehen.
Ich habe diese Protokolle eingesehen und ausgewertet:
Im Zeitraum vom 9. Januar 1946 bis zum 4. Oktober 1946, der für unsere Untersuchung von Interesse ist, fanden elf Sitzungen statt, von denen immerhin in sieben zur Gründung der Pädagogischen Fakultät mehr oder weniger ausführliche Ausführungen gemacht wurden. Dass die Gründung einer Pädagogischen Fakultät auch für Leipzig vorgesehen sei, teilte Prof. Gadamer erstmalig den anwesenden Professoren auf der Sitzung am 3. April 1946 mit.
Das Datum belegt, dass man sich bereits längere Zeit vor der Erteilung des Befehls Nr. 205 vom 12.7.1946, der die Gründung Pädagogischer Fakultäten an den Universitäten Berlin, Rostock, Greifswald, Halle, Jena und Leipzig anordnete, mit dieser Aufgabe inhaltlich und organisatorisch befasste.
Neben den Professoren Gadamer und Litt haben sich im besonderen Maße die Professoren Frings, Schweitzer, Hund, Klingner, Freyer und Holldack an den Diskussionen beteiligt. In den Protokollen ist zudem ein umfassender Bericht enthalten, den Prof. Lambertz, der der 1. Dekan der Pädagogischen Fakultät war, vor den Professoren der Philosophischen Fakultät Anfang Oktober 1946 auf zwei Sitzungen erstattet hat.
Den Protokollen aus dem angegebenen Zeitraum kann man zusammenfassend nachstehende Haltung der für dieses Problem maßgeblichen Professoren der Philosophischen Fakultät entnehmen, die besonders Prof. Litt in den Diskussionen geprägt hat:

  1. Die Gründung einer Pädagogischen Fakultät wird grundsätzlich nicht befürwortet. Prof. Litt befürchtete vor allem die Zerstörung der Einheit der Philosophischen Fakultät. Es wird daher vielmehr vorgeschlagen, an der Philosophischen Fakultät zusätzlich eine neue Abteilung einzurichten. Die innere Struktur der Fakultät hätte dann in Leipzig wie folgt ausgesehen:
  • Geisteswissenschaftliche Abteilung
  • Mathematisch-Naturwissenschaftliche Abteilung
  • Philosophisch-pädagogische Abteilung.
  1. Besonders durch Prof. Litt wird der auf einer Konferenz in Berlin – wohl im Juni – vorgetragene Plan abgelehnt, nach dem in Zukunft nur noch ein „Einheitslehrer” ausgebildet werden sollte, der befähigt ist, in allen Stufen einer zu schaffenden „Einheitsschule” zu unterrichten. Litt betonte, dass ein solches Ziel in einer Studienzeit von 3 Jahren nicht zu erreichen sei.
    Schulsystem und Lehrerausbildung müssen einer notwendigen Differenzierung in verschiedene Schularten gerecht werden.
  2. Die Philosophische Fakultät müsse in Zukunft tolerieren, wenn für die Auswahl geeigneter Lehrpersonen an der Pädagogischen Fakultät die marxistische Gesinnung und nicht der Doktortitel als das entscheidende Kriterium herangezogen werden. Die Philosophische Fakultät vertrat in dieser Frage die Auffassung: Ohne akademische Grade kann es keine akademischen Rechte geben.
  3. Besonders durch Prof. Litt wird herausgestellt, dass es nicht zulässig sei, die Besetzung der Lehrstühle und die Auswahl von Lehrbeauftragten mit einer parteipolitisch-weltanschaulichen Durchdringung und Politisierung der Universität zu verbinden. Lehrstühle dürfen nicht als Objekte ideologisch-parteipolitischer Bestrebungen freigegeben werden, sondern sie können nur rein wissenschaftlichen Zwecken dienen.
    Den Vertretern der Philosophischen Fakultät war so sehr schnell bewusst geworden, dass die Neugründung von Fakultäten auch ein taktischer Weg war, um unter Umgehung der üblichen Berufungsregelungen dem Kommunismus und der Sowjetunion treu ergebene Personen in die Universität zu bringen.
    Ohne Zweifel war die Diskussion unter den Professoren auch von der Sorge getragen, dass eine neue Pädagogische Fakultät der Philosophischen Fakultät Studierende entziehen könnte. Zudem wird die in diesem Personenkreis vorherrschende Meinung spürbar, nach der in der Lehrerausbildung zwischen „Volksschul-/Grundschullehrern” und Lehrern für die „Gymnasien/Oberschulen” getrennt werden müsse, und dass praktisch-unterrichtliche Ausbildungsabschnitte nur locker mit der Universität zu verbinden seien.
    Bereits am 15. Mai hatte Prof. Gadamer in einer Sitzung nach einem Besuch in Berlin mitgeteilt, dass die Gründung einer Pädagogischen Fakultät in Leipzig eine beschlossene Sache sei.

Schriftliche Zeugnisse Litts zur Fakultätsgründung

Prof. Litt hat sich z. B. in Briefen an Spranger sowie in drei weiteren von mir ausgewerteten Schriftstücken, die als Maschinenmanuskripte erhalten geblieben sind, zur Einheitsschule und zur Gründung Pädagogischer Fakultäten geäußert.
Das sind:

  1. Zum Deutschen demokratischen Schulprogramm
  2. Zum Plan der Pädagogischen Fakultät
  3. Zur Frage der Pädagogischen Fakultäten
    Auf diesen drei maschinenschriftlichen Manuskripten, die in der Litt-Forschungsstelle der Universität Leipzig aufbewahrt werden, ist kein Datum vermerkt. Sie stammen aber, erkennbar an den angesprochenen Inhalten, sicher aus dem Jahr 1946.
    Die dritte Schrift ist eine Denkschrift, die Theodor Litt auf Wunsch des Präsidenten der Zentralverwaltung für Volkserziehung/Volksbildung Paul Wandel verfasste. In ihr schlägt Prof. Litt der Zentralverwaltung für Volksbildung drei Lösungsvarianten für die Lehrerausbildung an der Universität vor, von denen die Gründung einer Pädagogischen Fakultät die am wenigsten wünschenswerte Entscheidung ist. Litt favorisierte hingegen eine Lösung, die nach seiner Auffassung schon während der Weimarer Republik an der Universität Leipzig bei der Ausbildung der Volksschullehrer ihre praktische Bewährungsprobe bestanden hatte.

Ein psychologischer Grund für Litts ablehnende Haltung

Bei der Entscheidung Litts gegen eine Pädagogische Fakultät hat sicher auch seine Erinnerung an eine Konferenz nachgewirkt, die zwar schon rund 30 Jahre zurücklag und in der seinerzeit am 24./25. Mai 1917 in Berlin darüber beraten wurde, unter welchen Bedingungen es möglicherweise Erfolgsaussichten für die Einrichtung von Lehrstühlen der Pädagogik an den Preußischen Universitäten geben könnte.

Litt und die Gründung der pädagogischen Fakultät

Jetzt ging es aber nicht nur um Lehrstühle, sondern sogar um eine Pädagogische Fakultät. Auch das macht die Entscheidung Litts gegen eine eigenständige Fakultät zumindest verständlicher.
Für die organisatorische Situation der pädagogischen Fachrichtungen an der sächsischen Landesuniversität Leipzig sei am Rande vermerkt, dass hier schon seit dem 9. März 1862 ein eigener Lehrstuhl für die Pädagogik eingerichtet wurde. Nach dem Tod von Prof. Hermann Masius 1893 wurde auf Wunsch der Philosophischen Fakultät der Lehrstuhl sofort eingezogen und in einen Lehrstuhl für Philosophie und Pädagogik umgewidmet, den dann seit 1894 Prof. Johannes Volkelt, seit 1911 Prof. Eduard Spranger und schließlich seit 1920 Prof. Theodor Litt mit einer Unterbrechung zwischen 1937 und 1945 bis 1947 innehatten.

Der Bezug des Befehls Nr. 205 auf die Mittelstufe

Im §7 des Gesetzes zur Demokratisierung der deutschen Schule vom Frühjahr 1946 ist vermerkt, dass die Lehrerausbildung entsprechend den Festlegungen in diesem Gesetz neu zu gestalten ist. Ein Schritt in dieser Richtung war der Befehl Nr. 205, der die Gründung Pädagogischer Fakultäten anordnete.
In diesem Befehl heißt es: „Der Präsident der Deutschen Verwaltung für Volksbildung hat … bei den in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands eröffneten Universitäten Pädagogische Fakultäten zur Vorbereitung von Lehrern für die Mittelstufe der allgemeinbildenden demokratischen Einheitsschule einzurichten.”
Diese Formulierung belegt, dass der Befehl nicht die Lehrerbildung in ihrer Gesamtheit betraf. Er bezog sich in einer sinnvollen Adaptation an das deutsche Schulsystem lediglich auf Lehrer für die Klassenstufen 5 bis 8. Für Lehrer der Klassenstufen 1 bis 4 war somit nicht an eine universitäre Ausbildung gedacht. Allerdings wurde bis 1950 die konkrete Befehlsformulierung ohne einen Protest der Besatzungsmacht gebeugt, denn an den Pädagogischen Fakultäten wurden auch Lehrveranstaltungen zum Elementarunterricht in Form einer Didaktik der Unterstufe angeboten. Solche Regelungen erklären sich ganz pragmatisch aus den Problemen, die in der Lehrerausbildung unmittelbar nach dem Krieg bestanden. Es fehlte überall an Lehrern, auch an Lehrern für die Lehrerausbildung.
Die Formulierung „Mittelstufe” im erwähnten SMAD-Befehl setzte zwangsläufig voraus, dass es auch eine „Unterstufe” geben muss, ein Begriff, der nach meinem Wissen bisher im deutschen Schulwesen nicht vorkam. Im gewissen Sinne war er ein Import aus dem sowjetischen Schulsystem und der Lehrerbildung, nach der es drei Kategorien von Lehrern gab.
Als Ende 1950 im größeren Maßstab mit der Ausbildung von „Unterstufenlehrern” an Instituten für Lehrerbildung, also Institutionen mit Fachschulstatus, begonnen wurde, hatte man sich in der DDR für ein System der Lehrerausbildung entschieden, das mit seinem Anspruchsniveau hinter Regelungen zurückfiel, die in der Zeit der Weimarer Republik z. B. in Sachsen, Anhalt, Braunschweig, Hamburg und Thüringen praktiziert wurden. Ein Lehrer nur für die Klassen 1 bis 4 war wohl in Deutschland bisher nicht ausgebildet worden. Selbst die in Preußen zur Zeit der Weimarer Republik neu eingeführten Pädagogischen Akademien hatten Hochschulcharakter, wenngleich sie mit der universitären Ausbildung der Volksschullehrer, wie sie z. B.in Leipzig oder Dresden stattfand, nicht direkt vergleichbar waren, da die Studiendauer — obwohl auf 3 Jahre geplant — zunächst nur 2 Jahre betrug.
In der DDR gab es somit einen hohen Anteil an Lehrern, deren Allgemeinbildung unter dem Niveau des Abiturs lag, das als Zulassungsvoraussetzung zum Institut für Lehrerbildung nicht notwendig war.
Seitdem enthielt das Zeugnis an der Pädagogischen Fakultät in Leipzig den Vermerk: Universitätsabschlussprüfung für das Lehramt an der Grundschule (5.-8. Schuljahr).

Die Vorbereitungsarbeiten für die Fakultätsgründung in Leipzig

Die Vorbereitungsarbeiten zur Gründung der Pädagogischen Fakultät setzten natürlich auch in Leipzig wesentlich früher ein, als es das Datum des Befehls aussagt. Allerdings kann man zumindest für Leipzig an Hand des ausgewerteten Quellenmaterials feststellen, dass die Universität erst sehr spät in die Aussprachen einbezogen wurde.
Die entscheidenden konzeptionellen Arbeiten zur Fakultätsgründung leistete führte vielmehr ein gewisser Dr. Roman Roth, der Direktor des Schulwissenschaftlichen Instituts in Leipzig war. Dieses Institut gehörte nicht zur Universität und war direkt der Landesverwaltung Sachsen unterstellt. An ihm wurden vorwiegend Neulehrer in Kursen von 8 Monaten Dauer ausgebildet. Es hatte seinen Sitz in der Gustav-Freytag-Str. 42.
Dr. Roth hatte bereits am 30. Mai 1946 einen Vorschlag für die inhaltliche und organisatorische Ausgestaltung der Fakultät bei Ministerialrat Schneller Landesverwaltung Sachsen / Abt. Inneres und Volksbildung – eingereicht.

Litt und die Gründung der pädagogischen Fakultät

Man kann annehmen, dass von dieser Stelle auch der Auftrag an Roth gekommen ist, konzeptionelle Vorüberlegungen zur Fakultätsgründung anzustellen. Duplikate dieses Konzepts gingen auch an die SMAD in Berlin Karlshorst, an die Zentralverwaltung für Volksbildung in Berlin und an Stadtrat Helmut Holtzhauer in Leipzig. In einem Begleitschreiben zu diesem Konzept ist zudem von einer Denkschrift des Schulwissenschaftlichen Instituts die Rede, in der die Ausbildung eines „Einheitslehrers” geforderte wurde, der in allen Klassenstufen unterrichten sollte. Eine Trennung in Unterstufe, Mittelstufe und Oberstufe wurde in ihr somit verworfen. Die Denkschrift selbst konnte in den von mir eingesehenen Quellen nicht aufgefunden werden. Mit Sicherheit befindet sie sich jedoch in Dresdener Archiven.
In Roths Vorschlag war für die Pädagogische Fakultät eine Untergliederung in 4 Abteilungen vorgesehen:

  • Erziehungswissenschaftliche Abteilung
  • Fachwissenschaftliche Abteilung
  • Schulwissenschaftliche Abteilung
  • Abteilung für Volkskultur und Sozialarbeit.
    Als Leiter für die Schulwissenschaftliche Abteilung hatte sich schon zu diesem frühen Zeitpunkt Roth selbst vorgeschlagen.
    Dr. Roth arbeitete eng mit Stadtrat Helmut Holtzhauer zusammen, der im Bereich des Schulwesens der Stadt Leipzig und der Neulehrerbildung eine Schlüsselposition innehatte. Zudem überwachte Holtzhauer die politische Angemessenheit von Personalentscheidungen. Dr. Roth und Stadtrat Holtz-hauer waren zudem beide Mitglied der KPD gewesen. Sie kannten sich aus der gemeinsamen Parteiarbeit und sie vertraten weitgehend gleichartige Auffassungen zur Gestaltung einer Einheitsschule oder bei der Vereinheitlichung der Lehrerausbildung im Typ des sogenannten Einheitslehrers.

Das späte Einbeziehen der Universität in der Gründungsphase

Die Universität wurde in die organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitungsprozesse bei der Gründung der Pädagogischen Fakultät in Leipzig kaum einbezogen.
Mir ist ein Schreiben der Universität erst vom 10. August 1946 bekanntgeworden, das an Prof. Smirnow von der sowjetischen Militärbehörde gerichtet war, der sich zu dieser Zeit in Leipzig aufhielt. Ich nehme an, dass Prof. Smirnow als Kulturoffizier und als ein Deutschlandexperte der SMAD für Vorgänge und Entscheidungen an der Universität Leipzig zuständig war. In diesem Brief wird u.a. durch Prorektor Prof. Hund die Besetzung der vorgesehenen Lehrstühle an der Pädagogischen Fakultät angesprochen. Der Brief enthält den Vorschlag, Prof. Litt und Prof. Gadamer sowohl in der Philosophischen als auch in der Pädagogischen Fakultät Sitz und Stimme einzuräumen. Zugleich wird darauf verwiesen, dass Maximilian Lambertz, der als Dekan der Fakultät vorgesehen war, noch an der Helmholtz-Oberschule in Leipzig als ihr Direktor tätig sei. Falls er die Aufgaben des Dekans übernehmen solle, müsse er bald aus dem Schuldienst entlassen und bis 1. Oktober berufen werden. Auch für Prof. Menzel sollte an der neuen Fakultät ein Lehrstuhl vorgesehen werden. Als Direktor für das Institut der Theoretischen Pädagogik wird Prof. Litt vorgeschlagen. Als Direktor für das Institut für Didaktik war Prof. Menzel vorgesehen. Die Universität betonte in diesem Brief ihre Forderung, Berufungen an die dafür notwendigen akademischen Grade zu binden 10.
Dieser Brief löste natürlich einen Interessenkonflikt mit den Vorstellungen von Dr. Roth aus, der Unterstützung durch seinen Parteigenossen H. Holtzhauer fand.

Zur Aussprache Prof. Smirnow – Dr. Roth

Aus dem eingesehenen Quellenmaterial geht hervor, dass — wohl am 13. August — auch ein Treffen zwischen Dr. Roth und Prof. Smirnow stattfand. Über den Inhalt berichtete Roth einer Verwaltungsstelle auf dem Rathaus telepho-nisch. Das Aufnahmeprotokoll ist mit „Li” gekennzeichnet. Dieses Zeichen findet sich auf Schriftstücken aus dem Büro von Holtzhauer, so dass man mit Sicherheit sagen kann, das Roth sofort einen telephonischen Bericht über die Ergebnisse der Aussprache für Holtzhauer gab, den eine Schreib-kraft/Sekretärin in seinem Büro aufnahm, die ihre Schriftstücke mit „Li” kennzeichnete. Dadurch wurde es uns möglich, Kenntnis vom Inhalt dieses Gesprächs zu erlangen.
Roth teilte Holtzhauer mit, das Prof. Smirnow z. B. damit einverstanden sei, dass Roth Stellvertreter des Dekans würde. Prof. Smirnow habe dann Prof. Litt als Dekan vorgeschlagen, was Roth allerdings ablehnte. Sein Vorschlag war M. Lambertz. Prof. Smirnow habe nach dem Gespräch M. Lambertz in seiner Wohnung aufgesucht, um mit ihm über diese Angelegenheit zu sprechen.
Prof. Smirnow lehnte eine Gliederung der Fakultät in 4 Abteilungen — wie das der Vorschlag Roths vorsah — ab. Er schlug vielmehr eine Untergliederung in zwei Institute vor:
-Institut für Pädagogik und Geschichte der Pädagogik
-Institut für Didaktik.

Litt und die Gründung der pädagogischen Fakultät

In der Aussprache hatte sich Dr. Roth selbst als Direktor des Instituts für Didaktik empfohlen.
Von besonderem Interesse ist für die Beurteilung des Sinns des Befehls Nr. 205 auch, dass Prof. Smirnow den Vorschlag, in Zukunft nur noch einen Einheitslehrer auszubilden, nicht billigte. Nach Smirnows Vorstellungen sollten Lehrer für drei Aufgabenbereiche vorgesehen werden.

  1. Typ: Klassen 1 bis 4 (die entsprechende Ausbildungsinstitution sei noch zu bestimmen; möglicherweise Pädagogische Institute)
  2. Typ: Klasse 5 bis 8 (Ausbildungsstätten sind die Pädagogischen Fakultäten)
  3. Typ: Lehrer für die Oberstufe (Auszubilden an den Philosophischen und Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten).
    Diese Vorschläge belegen eindeutig, dass im Befehl Nr. 205 von den sowjetischen Behörden die Mittelstufe bewusst angesprochen wird. Der Befehl bezog sich somit nicht auf die Gestaltung der Lehrerausbildung für die „Unterstufe” sowie für die „Oberstufe”‘ 1.
    Die drei Lehrertypen in der sowjetischen Schule waren zu dieser Zeit: Lehrer für die Elementarschule, Lehrer für die unvollständige Mittelschule, Lehrer für die vollständige Mittelschule.

Zu einzelnen Personalentscheidungen

Der Befehl Nr. 205 enthielt die Forderung, bis zum 1. August die Lehrpläne und bis zum 15. August Personalverzeichnisse der SMAD vorzulegen. Auch in Leipzig war daher der Monat August ein entscheidender Zeitraum zur Klärung personeller Fragen an der neuen Fakultät. Im Monat August fanden die entscheidenden Aussprachen und Beratungen statt, in denen Personalprobleme besprochen und entsprechende Festlegungen getroffen wurden. Eine zentrale Stellung hatte Prof. Smirnow von der SMAD, der u.a. Beratungen mit Vertretern der Universität, der Landesverwaltung und mit Dr. Roth führte, der — wie bereits gesagt — den wesentlichen Anteil an der Ausarbeitung der Konzeption für die neue Fakultät geleistet hatte.

Besprechung Prof. Smirnows mit Vertretern der Universität

Prof. Smirnow favorisierte Prof. Litt als Dekan für die Pädagogische Fakultät. Die Universität war wohl mehr an einer Lösung interessiert, nach der Prof. Lambertz als Dekan eingesetzt werden sollte. Prof. Litt sollte Leiter des Instituts für Theoretische Pädagogik (was vermutlich auch seinen Wünschen entsprach) und Prof. Menzel Leiter des Instituts für Didaktik werden, für das auch die Bezeichnung Institut für Praktische Pädagogik Anwendung fand. Zu solchen Vorschlägen wurden z. B. in einer Besprechung am 10. 8. 1946 zwischen Prof. Hund, Prorektor der Universität, und Prof. Smirnow beraten.

Besprechung Prof. Smirnow mit Dr. Roth

Prof. Smirnow hatte mit Dr. Roth am 13.8.1946 eine Aussprache, die wir bereits erwähnt haben. Auf ihr sprach sich Roth entschieden gegen Litt aus. Nach Roths Auffassung sollte Lambertz Dekan der Fakultät werden. Litt war in den Augen Roths politisch unzuverlässig.
Als Direktor des Instituts für Theoretische Pädagogik hatte Roth einen gewissen Heinrich Kempinsky vorgeschlagen, der allerdings über keine akademischen Grade verfügte. Auch von einem Dr. Georg Schulze war die Rede, der sich bei der Landesregierung schon um eine Professur beworben hätte.
Prof. Smirnow habe erklärt, dass er auch einverstanden sei, wenn Roth die Funktion des stellvertretenden Dekans übernähme. Roth schien aber eine Lösung angenehmer zu sein, nach der er Direktor des Instituts für Didaktik (Praktische Pädagogik) würde.
Das Taktieren von Roth zeigt, dass ihm daran gelegen war, dass die Vertreter der Universität wie Prof. Litt oder Prof. Menzel nicht für exponierte Leitungsaufgaben herangezogen würden. Litt war zudem parteilos; Prof. Menzel kam aus der SPD in die SED.

Besprechung bei der Landesverwaltung

Am 22. 8. 1946 berichtete Schulrat Ernst Eichler an Stadtrat Holtzhauer über das Ergebnis einer Beratung in Dresden bei der Landesverwaltung. Hier war u.a. vorgeschlagen worden, Prof. Lambertz als Dekan, Prof. Menzel als Pro-dekan und Dr. Roth als Direktor des Instituts für Praktische Pädagogik einzusetzen.

Allgemeine Anmerkungen zur Haltung von Prof. Smirnow

Analysiert man die Aktivitäten von Prof. Smirnow bei der Gründung der Pädagogischen Fakultät, so kommt man zu der Einsicht, dass er als Hoch-schul- und Kulturoffizier der SMAD und als Deutschlandexperte wesentlich durchdachtere Vorschläge und Lösungsansätze anzubieten hatte, als die stark linksorientierten deutschen Vertreter und Schulfunktionäre, die ihre Wurzeln nicht selten in der KPD hatten. Bei vielen Entscheidungen vertrat Prof. Smirnow Positionen der Universität.
Die Forderung nach einer akademischen Graduierung der zu Berufenden sowie die nach der Hochschulreife bei den Studierenden als Zulassungsvoraussetzung waren zudem die zwei Entscheidungsbereiche, die sich bald zu besonderen Reizthemen beim Aufbau und der Säuberung der Universität von sogenannten „bürgerlichen Elementen” erweisen sollten. Dabei gab es gerade in dieser komplizierten Zeit nicht wenige „Selbstprofilierer”, die sich durch Subjektivismus und durch einen zu ihrem Vorteil demonstrierten linken Radikalismus auf der Stufenleiter des persönlichen materiellen Erfolgs voranbringen wollten. Sie hatten wegen ihrer intellektuellen Beschränktheit nur wenig von den antifaschistisch-demokratischen Forderungen dieser Tage verstanden.

Einrichtung des Dekanats der neuen Fakultät

Bereits bis zum 31.8.1946 war ein Dekanat der Pädagogischen Fakultät eingerichtet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man folgende Personalentscheidungen getroffen:
Dekan war Prof. Dr. Lambertz, Prodekan jedoch weder Prof. Menzel noch Dr. Roth, sondern Studiendirektor Horst Wolf, der sich mit der Methodik im Fach Englische Sprache befasste. Das Institut für Theoretische Pädagogik leitete Prof. Litt, sein Stellvertreter war Prof. Petzelt. Als Direktor des Instituts für Praktische Pädagogik wurde Prof. Menzel berufen, Dr. Roth war als sein Stellvertreter vorgesehen.
Zu entscheidenden Personalfestlegungen
Am 11.9.1949 fand in Leipzig eine Aussprache zwischen Prof. Smirnow, Prof. Lambertz und Ministerialrat Donath von der Landesverwaltung statt, auf der nun endgültig entschieden wurde, dass Prof. Menzel als Direktor des Instituts für Praktische Pädagogik eingesetzt wird und nicht, wie früher in Aussicht gestellt, Dr. Roth. Die bisher zu den Personalfragen getrennt geführten Überlegungen wurden an diesem Tag im Zusammenwirken von SMAD, vertreten durch Prof. Smirnow, der Universität und der Landesverwaltung zusammengeführt und zu einem vorläufigen Abschluss gebracht.

Zum Schicksal von Dr. Roth

Die Zurücksetzung von Dr. Roth machte eine Aussprache mit ihm und Prof. Menzel notwendig. Am 12.9.1946 beauftragte Ministerialrat Donath den Stadtrat Helmut Holtzhauer, diese herbeizuführen. Auf ihr sollten die Aufgabenbereiche zwischen Prof. Menzel und Dr. Roth genau abgegrenzt werden. Als Termin war der 18.9. festgelegt worden. Allerdings erschien Prof. Men-zel zu dem vereinbarten Zeitpunkt nicht. Er ließ vielmehr durch Prof. Lam-bertz, der an der Aussprache teilnehmen wollte, erklären, dass er es vorziehen würde, wenn zusätzlich Vertreter der Universität zu diesem Gespräch hinzugezogen würden, eine Auffassung, die auch Prof. Litt vertreten würde.
An diesem Tag sind dann Prof. Lambertz und Helmut Holtzhauer in die Wohnung von Prof. Menzel gefahren. Dort erklärte Prof. Menzel, dass Prof. Litt über Material verfüge, das es in Frage stellen würde, ob Roth überhaupt an der Universität beschäftigt werden kann.
Danach entwickelte Helmut Holtzhauer, der in Leipzig auch Aufsichtsfunktionen im Schulwesen wahrnahm, eine große Aktivität, um an dieses Material heranzukommen. Er schrieb in dieser Angelegenheit nicht nur an die Landesverwaltung, sondern er übermittelte schon am 20.9. einen Brief an Prof. Litt, den ich im Stadtarchiv aufgefunden habe. Holtzhauer bittet in diesem Brief Prof. Litt, ihm das Material zur Verfügung zu stellen, das Roth belastet.
Nach diesem Brief muss eine Aussprache zwischen Litt und Holtzhauer stattgefunden haben, die für Holtzhauer jedoch nicht aufschlussreich genug gewesen war, denn in einem zweiten Brief vom 5. Oktober forderte er Litt nochmals auf, ihm die gewünschten Informationen zukommen zu lassen.
Wie sich diese Angelegenheit weiterentwickelt hat, kann nach den aufgefundenen Dokumenten nicht genau rekonstruiert werden.
Zwei Dr. Roth belastende Umstände könnten von Bedeutung gewesen sein:

  1. Roth soll in der NS-Zeit im Reichsluftfahrtministerium als Offizier beschäftigt gewesen sein. Das folgt aus einer entsprechenden Äußerung von Prof. Menzel und Rektor Prof. Gadamer.
  2. Ich habe in den eingesehenen Quellen Hinweise darauf gefunden, dass sich Roth mit der Anfertigung einer Habilitationsschrift beschäftigte. Möglicherweise war Prof. Litt als Gutachter vorgesehen, und nach einer ersten Einsichtnahme könnte er sich schon für eine Ablehnung der Arbeit innerlich ausgesprochen haben.
    Eine Nachfrage meinerseits beim Universitätsarchiv ergab, dass Dr. R. Roth nicht in der Liste der Habilitanden verzeichnet ist. Also kam es zumindest in Leipzig nicht zu einer Aufnahme eines Verfahrens.
    Was aus Dr. Roth geworden ist, konnte ich bisher nicht aufklären. Sein Name erscheint auch nicht in den Vorlesungsverzeichnissen dieser Zeit. In einer Personalliste vom 26. September 1946 ist Dr. Roth noch als Stellvertreter des Direktors des Instituts für Praktische Pädagogik Prof. Menzel aufgeführt.
    Den letzten Hinweis auf Dr. Roth fand ich bei meinen Recherchen in den Protokollen der Philologisch-Historischen Abteilung der Philosophischen Fakultät vom 4. Oktober 1946, an dem Prof. Lambertz einen ausführlichen Bericht zur Eröffnung der Pädagogischen Fakultät gab, und wo er darauf hingewiesen hatte, dass Dr. Roth wahrscheinlich als Verantwortlicher für die Mathematikausbildung/Oberstufe in die Pädagogische Fakultät eingegliedert werden würde.
    Als Prodekan ist in dieser Liste vom 26.9.1946 — also 4 Tage vor der Eröffnung der Pädagogischen Fakultät — nicht mehr Oberstudiendirektor Horst Wolf angegeben, sondern ein gewisser Dr. Henrik Becker, der sich mit der Methodik des Deutschunterrichts befasste. Gründe für diesen Wechsel kann man nur vermuten. Möglicherweise bestand die Universität auf der Forderung, dass für einen Prodekan nur ein Promovierter in Frage komme.

Zur Aufnahme des Studienbetriebs

Unabhängig von noch schwebenden Personalentscheidungen nahm am 1. Oktober 1946 die Pädagogische Fakultät ihre Arbeit auf.
Dekan war endgültig Prof. Dr. Lambertz. Die Direktoren der beiden Institute waren Prof. Litt und Prof. Menzel.
Insgesamt begannen 163 angehende Lehrer ihr Studium. Die im Befehl vorgegebene Zahl von 200 wurde somit — auch nach intensiver Werbung und ohne Forderung des Abiturs als Studienvoraussetzung — nicht erreicht. Nach der Art der Auswahl kann man annehmen, dass unter ihnen nicht viele Abiturienten gewesen sind. Von diesen Studierenden waren 71 % Mitglied der SED, 18 % Mitglied der LDPD, 5% Mitglied der CDUD und 6% parteilos. Die Aufgliederung nach der sozialen Herkunft sah wie folgt aus: Arbeiter 69, Bauer 3, Angestellte 38, Handwerker 21, Lehrer 6, Studienrat 1, Beamter 3, Ingenieur 2, Kaufmann 4, Künstler 3, Eltern verstorben 13.
Von einem Arbeiter- und Bauernstudium kann — wie so oft propagandistisch hervorgehoben — danach zumindest was die Kinder aus dem Bauernstand anbelangt, nicht die Rede sein.
Trotz der ablehnenden Haltung von Prof. Litt und weiterer Vertreter der Philosophischen Fakultät gegenüber einer Pädagogischen Fakultät kam es am 1. Oktober 1946 zu ihrer Gründung. Sie bestand an der Universität Leipzig 9 Jahre. Dann wurde sie wieder aufgelöst. Eine interessante Frage wäre die nach den Gründen; aber das berührt schon nicht mehr die Thematik eines Litt-Symposions zur angegebenen Thematik.
Bei einer Wertung all dieser hier vorgetragenen Vorgänge und Ereignisse muss man sich natürlich in die Besonderheiten der Zeit zurückversetzen, in der sie sich vollzogen. Sie kann nicht von dem Wissen aus vorgenommen werden, das wir in der Zwischenzeit erlangt haben. Zudem sind die unklaren Konturen zu beachten, die man in den Diskussionen und bei der Meinungsbildung von dem hatte, was da bevorstand. Bei allem war und blieb natürlich in jeglicher Hinsicht die Besatzungsmacht die entscheidende Machtinstanz, auf die allerdings zunehmend die SED im beratenden Sinne einen Einfluss erlangte.

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Theodor-Litt-Jahrbuch
2001/2
Leipziger Universitätsverlag 2002